Liebe Leserinnen und Leser,
Ich bin jetzt schon fast drei Monate in Indonesien und langsam fühlt es sich nicht mehr wie ein langer Urlaub an, sondern wie Alltag. Mittlerweile habe ich mich auf Papua, der östlichsten Insel Indonesiens, in Sentani, dem Nebenort der Inselhauptstadt Jayapura, ganz gut eingelebt. Im Folgenden werde ich versuchen die Erlebnisse und Erkenntnisse der letzten Zeit in Worte zu fassen, obwohl das unmöglich scheint, weil die Zeit hier bisher ein einziges Abenteuer war.
Erstmal: Mir geht es gut. Sehr gut sogar. Ich liebe den Ort, meinen Arbeitsplatz und meine Gastfamilie.
Als ich hier am 13.09.2024 angekommen bin, nachdem ich drei Tage lang über Abu Dhabi und Jakarta gereist bin, wurde ich Mit offenen Armen und Herzen empfangen. Zusammen mit vier Mitfreiwilligen habe ich mich auf den Weg gemacht, wobei eine Mitfreiwillige, Astrid, im gleichen Ort lebt wie ich, und die anderen drei auf anderen Inseln Indonesiens verstreut sind. Astrid und ich wurden zusammen von meiner Mentorin Pandeta Olive (Pandeta ist Indonesisch für Pastorin und Olive ist ihr Spitzname, wobei sie eigentlich Dolfina heißt) vom Flughafen abgeholt und zu meiner Gastfamilie nach Sentani gebracht. Auf dem Foto rechts seht ihr einen Einblick in meine Wohnsituation. Das Haus ist gar nicht so anders von meinem in Deutschland. Ich habe ein eigenes Zimmer bekommen mit Doppelbett und sogar einer Klimaanlage 😉 Das einzige Gewöhnungsbedürftige sind die Toiletten, wobei meine Familie zwar eine westliche Toilette besitzt, jedoch statt Klopapier einen Wasserstrahler benutzt, welcher den Job zwar erledigt aber ich mich danach nasser als davor fühle. Das stört mich aber mittlerweile gar nicht mehr.
Da mein Gastvater, welchen ich Papa Demos nenne (in Indonesien sagt man die Titel, welche die Beziehung in welcher man mit der Person steht, beschreibt, vor dem Namen) Pastor ist, leben wir direkt neben einer Kirche und einem, von der Kirche geförderten Kindergarten. In diesem Kindergarten arbeite ich auch Vormittags immer. Zusammen mit den Kindern im Alter von 2-5 Jahren kann ich dann Tanzen, Beten, Basteln, Essen und Spielen. Ich dachte anfangs, der Kindergarten wäre nichts für mich, weil ich kein besonderes Interesse an Kindern habe, aber es gefällt mir überraschend gut. Grund dafür ist wahrscheinlich auch, das meine kleinste Gastschwester Putri, welche fünf Jahre alt ist, und mit der ich mich sehr gut verstehe, auch zu dem Kindergarten geht. Ich weiß man sollte keine Lieblinge haben, aber Putri ist auf jeden Fall mein Lieblingskind dort.
Apropos Gastgeschwister besitze ich neben Putri noch zwei andere Geschwister. Brian ist 8 Jahre alt, jedoch habe ich mit ihm bisher noch so gut wie gar nicht gesprochen, weil mein Indonesisch noch nicht gut genug ist um mehr als Smalltalk zu führen, und er auch etwas schüchtern ist.
Frage: Wie gewinnt man die Sympathie eines 8 Jahre alten Jungen?
Zum Glück kann ich mit meiner Gastschwester Bianca etwas besser sprechen, weil sie schon 13 ist und auch schon etwas Englisch aus der Schule kann. Ich gebe ihr zusammen mit ein paar Gleichaltrigen Freunden auch jeden Montag Englisch Unterricht. Zusätzlich leite ich auch eine Kindergruppe und eine Gruppe mit 18-30 jährigen am Montag. Plus Unterrichtsvorbereitung sind meine Montage also relativ voll und ich arbeite 7-8 Stunden über den Tag verteilt.
An den anderen Tagen der Woche fahre ich an die Theologie Universität wo meine Mitfreiwillige Astrid lebt und auch im Café arbeitet. Dort treffen wir uns zusammen und lernen Indonesisch, bereiten den Unterricht vor und stellen eigene Arbeitsblätter zusammen, welche die Student*innen der Universität anschließen in unseren Englisch Nachhilfestunden bearbeiten können. Zusammen geben Astrid und ich Nachhilfe in Englisch für 200 Student*innen jede Woche, weshalb auf jeden Fall immer genügend zu tun ist. Das macht jedoch auch sehr Spaß weil die Student*innen auch in unserem Alter sind und wir dadurch einfach Freunde finden können. Auch im Fokha Café, in dem Astrid arbeitet, welches zur Universität gehört und in dem wir gerne all unsere Freizeit auf einen Kaffe und ein Stück Brownie verbringen, haben wir schnell Freunde gefunden. Unsere drei Besten Freunde, Landa, Wensdi und Apin arbeiten alle in dem Café. Obwohl ich nur Stammkundin bin und nicht wirklich dort arbeite gehöre ich schon indirekt zur Fokha Familie. Ich habe sogar deren Mitarbeitershirt bekommen! Jeden Abend sitzen wir nach dem Unterricht noch lange im Café und reden, spielen Karten oder helfen mit, Brötchen und Kuchen zu backen. Manchmal helfen sie uns auch indonesische Grammatik zu verstehen.
Die Sprache ist generell gar nicht so schwer, da sie erst 1928 eingeführt wurde und bis zu der Unabhängigkeit Indonesiens im Jahr 1945 im ganzen Land in Schulen eingeführt werden musste. Sie basiert auf Malay. Zusätzlich hat sie viele Gemeinsamkeiten mit Niederländisch, weil diese Indonesien lange kolonialisiert hat. Dadurch sind manche Wörter sogar sehr ähnlich zum Deutschen wie zum Beispiel „Salat= Selada“ oder „Tomate=Tomat“. Auch Sprachen wie Portugiesisch oder Englisch haben Einfluss auf Indonesisch durch die Kolonialgeschichte gehabt. (Organisation=Organisasi) Für mich bedeutet das nur, das Indonesisch vergleichsweise leicht ist zu lernen, da es zum Beispiel auch keine Zeitformen oder Pronomen gibt. Zusätzlich braucht ein Satz nicht notwendiger Weise ein Verb. Der Satz „ich bin glücklich“, würde auf Indonesisch heißen „saya senang“, also „ich glücklich“. Das macht einiges leichter für mich. Würde ich jedoch nicht Indonesisch lernen sondern eines der traditionellen Inselsprachen, wäre das um einiges schwerer und teilweise komplizierter als die deutsche Sprache. Dadurch, das es eine so große Anzahl an Inselsprachen gibt, haben selbst Indoneser*innen Schwierigkeiten, sich gegenseitig zu verstehen. Ein Ort kann eine so andere Sprache sprechen, das sie die Menschen aus dem Nachbarort nicht verstehen. Dazu kommt, das nur rund 43 Millionen Indoneser*innen Indonesisch als ihre Muttersprache haben, und ganze 155 Millionen Indonesisch als Zweitsprache besitzen. Dadurch gibt es oftmals keine gemeinsame Sprache, die jeder und jede verstehen. Auch an der Theologie Universität macht sich das Problem bemerkbar. Selbst wenn Professor*innen auf der offiziellen Landessprache, Indonesisch, sprechen, verstehen sie nicht alle Student*innen, weil diese teilweise nicht die Ressourcen hatten, Indonesisch als Zweitsprache in der Schule zu lernen. Es kann dadurch gut sein, das vereinzelte Student*innen genauso wenig Indonesisch sprechen, wie Astrid und ich.

Jeden Freitag veranstaltet die Universität im Fokha Café ein Forum, in dem Professor*innen und andere Menschen mit besonderem Wissen über ein Fachgebiet einen interaktiven Vortrag für Student*innen halten können. Dort wird dann über politisch relevante Themen, Religion oder Moral der Universität geredet und diskutiert. Astrid und ich nehmen dort auch regelmäßig dran teil, und auch wenn wir vieles noch nicht verstehen, helfen unsere Freunde aus dem Café, gesagtes zu übersetzen. Vor ein Paar Wochen war das Thema die Bilingualität und Muttersprache Indonesier*innen. Ein Professor, welcher mehrere Ortssprachen der über 200 verschiedenen Sprachen Papua’s gelernt hat, und mittlerweile über 6 Sprachen spricht, hat diese geführt. Dabei wurde klar, wie wichtig es ist beides die Muttersprache und offizielle Landessprache zu können. Sollten alle Indonesier*innen nur noch Indonesisch lernen, würde kostbare Kultur zusammen mit den Ortssprachen in Vergessenheit geraten. Menschen würden die Verbindung zu ihren Vorfahren und deren Worte und Schriften verlieren, wenn niemand mehr diese verstehen könnte. Jedoch ist es genauso gefährlich, nur die eigene Ortssprache zu sprechen, weil man so keine Möglichkeiten hat, außerhalb seines oder ihres Ortes zu leben oder arbeiten. Die Student*innen der Universität sind dafür der Lebende Beweis. Alle Menschen Indonesiens Bilingual aufzuziehen ist jedoch enorme Arbeit, weil die passenden Lehrkräfte, Ressourcen wie Bücher, die alle Ortssprachen ins Indonesische übersetzen, und auch Gelder die die Umstellung ermöglichen, organisiert werden müssten. Professor Hans Imbir arbeitet mit der Organisation „karti daya“ zurzeit daran, Bibeln in Ortssprachen zu übersetzen und Lernangebote in Orten einzuführen, um den Menschen Indonesisch beizubringen. Sein Engagement und Wissen ist wirklich erstaunlich!
Ich kann mir kaum vorstellen wie es wäre, wenn Schulen in Deutschland auf einmal nur noch im Englisch unterrichten würden und alle Kinder und Jugendlichen auf ihrer Zweitsprache lernen müssten. Ich stelle mir vor, das es da auch viel Chaos und Verwirrung geben würde. Dieser Perspektivenwechsel veranschaulicht, das der Anspruch an Indonesier*innen an Universitäten viel höher ist, da sie, um die beste Bildung genießen zu könne, den ganzen Unterricht auf ihrer Zweitsprache verstehen müssen. Das ist große Leistung!
Dazu kommt dann noch, das Astrid und ich ihnen wöchentlich nach dem Unterricht Englisch Nachhilfe geben. Also eine dritte Sprache.
Ich hoffe ihr habt einen kleinen Einblick in mein Leben hier, und das Leben der Student*innen bekommen. Wenn ihr weitere Fragen zu den besprochenen Themen habt, wisst ihr ja, wie ihr mich erreichen könnt. Sonst könnt ihr euch gerne auf den nächsten Rundbrief in ein paar Monaten freuen.
Bis dann,
Ava
Ps: als kleines Extra hier noch ein paar Fotos von der wunderschönen Natur
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