05.02.2025, Rundbrief Nr.2 

Liebe Leserinnen und Leser,

Monat 5 und ich befinde mich zur Stunde in Raja Ampat, nach vier Wochen Insel-hopping. Bald ist schon Halbzeit und ich genieße jede Sekunde dieses Abenteuers. Also keine Sorge, mir geht es noch immer gesundheitlich und mental super

Seit dem letzten Rundbrief im November hat das College Semesterferien um  Weihnachten herum bekommen und Astrid und ich haben die Möglichkeit ergriffen, zu reisen. Nachdem das Asrama (Studentenwohnheim des Colleges) geschlossen hatte, ist Astrid zu mir in meine Gastfamilie gezogen um gemeinsam die Weihnachtstage zu verbringen. Man kann sich das ganz ähnlich wie in Deutschland vorstellen, nur dass statt am 24. am 25. gefeiert wird. In meinem Fall hieß das ganz viel Kirche, leckeres Essen und Gemeinschaft. Dadurch, das ich bei einer Pastorenfamilie wohne, war mein Zuhause so etwas wie ein offener Ort für alle Menschen die Weihnachten nicht zu Hause oder mit ihrer Familie feiern. Mir gefällt dieses Konzept von Gemeinschaft und Nachtbarschaftszusammenhalt wirklich gut, weil niemand alleine ist und das Haus immer voller Gelächter, Kinder und Leben ist. Der einzige Unterschied zum deutschen Weihnachtsfest ist die Bescherung. Ich hatte mich darauf eingestellt, jedem und jeder in meiner Familie (also Mutter, Vater, Geschwister Bianca, Brian und Putri, sowie Cousin Carrey und Cousinen Lilly und Theresia) ein kleines Geschenk zu kaufen und wir dann gegenseitig Kleinigkeiten auspacken. In Realität waren Astrid und ich die einzigen mit Geschenken und haben dann, wie das Christkind persönlich, großzügig Geschenke verteilt, während die Familie diese leicht verwirrt angenommen hatte…

Merkzettel an mich selbst: Vorher vielleicht mal über den Ablauf und die indonesischen  Traditionen rund um Feiertage informieren

Naja, wirklich was falsch gemacht haben wir damit ja jetzt auch nicht und im Endeffekt sogar ein paar Pluspunkte gesammelt 🙂

Am 30.12 sind Astrid und ich dann zusammen aufgebrochen, um drei Tage lang auf dem Boot von Jayapura nach Ambon in einem Bettenlager Kopf an Kopf neben wildfremden Menschen zu schlafen. Dabei haben wir das entgegen aller Erwartungen sogar ganz schön genossen im Meeresschaukeln einzuschlafen und Stundenlang auf dem Deck des Schiffes auf die Wellen und den Sonnenuntergang zu schauen. 

Angekommen in Ambon, der Hauptstadt der Maluken, einer Inselgruppe Indonesiens, haben wir anschließend zwei Wochen in dem leerstehenden Haus unserer Mentorin gelebt. Diese ist für die Weihnachtszeit nach Deutschland geflogen und hat uns ihr Haus netterweise zur Verfügung Gestellt. Ihre Familie wohnt gleich nebenan und hat und großzügiger weise zweimal am Tag bekocht. Ambon ist mit eine meiner Lieblingsteile Indonesiens geworden, weil es eine lebendige, soziale Stadt, aber auch wunderschöne Strände und Berglandschaften besitzt. Eines meiner größten Abenteuer war es, in einer Höhle direkt über einem Wasserfall  zu übernachten. Diesen hatten wir bei einer Exkursion in den Regenwald entdeckt und weil die Höhle so schön gemütlich aussah, auch direkt beschlossen, dort die Nacht zu verbringen. Mit Decken, heißem Wasser und Instant Nudeln ausgestattet, haben wir also unser Lager aufgebaut  und uns bis in die Nacht mit quatschen, Musik und Schnitzen beschäftigt. (Props an Onkel Jürgen für das Schweizer Messer) Bei Sonnenaufgang konnten wir dann im kühlen Wasser des Wasserfalls baden, bevor wir den matschigen Rückweg auf uns genommen haben, bei dem meine Fliflops ums Leben gekommen sind.

Weitere Stops unserer Insel-Hopping Tour waren Seram, die größte Insel der Maluken, auf der wir in Häuschen auf Stelzen im Wasser gelebt haben und vom Balkon aus ins  Meer springen konnten, sowie Banda Neira, welche für die natürlichen Muskatnuss-Vorkommen bekannt ist. Dort haben wir uns eine Gewürztour geben lassen durch Gebiete, welche früher stark während Kollonialzeiten ausgebeutet wurden. Zudem haben wir über drei Tage einen Scuba-Diving-Kurs gemacht, also das  Tauchen mit Gasflasche, und uns am Ende zertifizieren lassen. Dabei sind wir mit einer Crew und Schiff raus zu einer Vulkaninsel gefahren und haben mit Schildkröten dort getaucht, wo früher die Glut des Vulkans geflossen ist und heute Korallenriffe so weit man schauen kann gewachsen sind. Bilder, die zwar nicht mit dem Handy aufgenommen werden konnten, aber für immer in Erinnerung bleiben. 

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Sorong, der zweitgrößten Stadt Papua’s sind wir mit dem nächsten Bötchen rüber nach Raja Ampat, wo ich mich auch zur Zeit befinde, gefahren.  Dieser Ort ist mit Abstand am Touristischsten und Jährlich kommen zahlreiche Menschen zum Tauchen und Schnorcheln mit Rochen hierher. 

Die letzte Insel für uns ist nur noch Süd-Kalimantan für das Zwischenseminar unserer Organisation, der VEM, bei der wir die anderen Indonesien-Freiwilligen treffen werden und die Möglichkeit haben, unsere Erfahrungen und Gefühle auszutauschen. 

Was mich in letzter Zeit besonders beschäftigt, ist die von Kolonialismus geprägte Geschichte Indonesiens. Besonders ist mir das auf meinen Reisen aufgefallen, als ich auf Museen und Denkmäler gestoßen bin, die über dieses Thema aufklären. Auf den Molukken zum Beispiel ist die Niederlande besonders grausam vorgegangen und hat sowohl die Menschen als auch die Natur vor Ort stark ausgebeutet, um an einzigartige Gewürze wie Muskatnuss, Nelken und Pfeffer zu gelangen und diese nach Europa zu importieren. Dabei wurde anfangs noch ein Tauschhandel mit Gütern aus Europa betrieben, zum Beispiel mit Glasperlen, Stoffen oder Metallwaren. Doch schon bald kann von fairem Handel keine Rede mehr sein. 

Teilweise wird die Niederlande (ebenso wie andere Kolonialmächte wie Portugal, England oder Spanien) noch in einem positiven Licht dargestellt. Es heißt oft, sie hätten Straßen gebaut und Schulen errichtet. Was in diesen Erzählungen jedoch häufig ausgelassen wird, ist die brutale Art und Weise, mit der europäische Mächte ihre westliche Ideologie in Indonesien  verbreitet haben. Ein Beispiel ist ein Gemälde aus einem Museum auf den Molukken, das die Abschlachtung von Indonesierinnen nach einer Rebellion durch die Niederländer zeigt – mit Unterstützung japanischer Söldner (Ronin-Samurai). Europäische Kolonialherren unterdrückten gezielt die vorhandene Kultur und Tradition. Auch Missionare spielten dabei eine große Rolle: Sie kamen im Namen Gottes nach Indonesien und wollten das Wort Jesu verbreiten. Noch heute gibt es Feiertage, an denen die Ankunft der ersten Bibel gefeiert wird. Dies ist aus der Perspektive der Gläubigen verständlich, denn für viele gibt ihr Glaube ihnen heute Kraft. Allerdings hatten Indonesierinnen vor dem Christentum bereits eigene Glaubensvorstellungen, die oft stark naturverbunden waren und auch die Verehrung der Ahnen einschlossen. Dies wurde von den Missionaren als minderwertig betrachtet, weshalb sie die Menschen in den von ihnen errichteten Schulen umerzogen – so, wie sie es für richtig hielten.

 Indonesien, das einst eine bedeutende Seemacht mit weitreichendem Handel und florierenden Königreichen war, wurde durch die niederländische Kolonialherrschaft wirtschaftlich und gesellschaftlich zurückgeworfen. Vor der Ankunft der Europäer bestanden dort hochentwickelte Reiche wie das Majapahit- und das Srivijaya-Reich, die über fortschrittliche Handelsnetzwerke, Verwaltungssysteme und Kultur verfügten. Die Region war ein Zentrum des Seehandels und pflegte Verbindungen mit China, Indien und dem Nahen Osten. Die Kolonialisierung unterbrach diese Entwicklung brutal. Über Jahrhunderte konnte sich Indonesien nicht eigenständig entfalten, da seine Wirtschaft auf die Bedürfnisse der Kolonialmacht ausgerichtet wurde. Heute wird Indonesien als „Entwicklungsland“ bezeichnet – oft mit dem Unterton, es sei „einfach noch nicht so weit“ wie europäische Industrieländer. Doch was dabei vergessen wird, ist, dass es die Kolonialmächte waren, die diesen Entwicklungsrückstand durch Ausbeutung und Unterdrückung erst verursacht haben. Und falls ihr glaubt, dass die Niederlande für ihre schrecklichen Verbrechen über 300 Jahre hinweg hohe Reparationen und Entschädigungen gezahlt haben, liegt ihr weit daneben. Erst 2020 erkannte die niederländische Regierung offiziell an, wie schwer sie Indonesien ausgebeutet hat, und bat um Entschuldigung für die Kolonialverbrechen. Dennoch wird das Thema in Schulen oft nicht ausreichend behandelt.

Stellen wir uns einmal hypothetisch vor, die Niederlande hätte Indonesien nie eingenommen. Indonesien wäre also weiterhin ein gut entwickeltes Land mit einer starken Seemacht und florierendem Export. Es wäre wahrscheinlich ein hoch demokratischer und moderner Staat mit einer Infrastruktur und Bildung, die es sich selbst aufgebaut hätte – ohne niederländische „Hilfe“. Man würde nicht von einem Entwicklungsland sprechen. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Indonesien weitaus reicher wäre als Deutschland, allein durch seine enorme Artenvielfalt, seine reiche Kultur, seine Traditionen und seine Naturwunder. Alles, was Deutschland von Indonesien unterscheidet, ist, dass das eine Land Täter und das andere Opfer des Kolonialismus wurde. Zufall oder Schicksal haben darüber entschieden, wie sich diese Länder entwickeln konnten. Ich möchte hiermit verdeutlichen, wie absurd es ist, über andere Länder – eingeschlossen afrikanische oder südamerikanische Staaten – als „unzivilisiert“ oder „rückständig“ zu urteilen. Denn es war der Westen, der ihnen die Möglichkeit genommen hat, sich auf Augenhöhe zu entwickeln. Das nächste Mal, wenn ihr  über Entwicklungsländer nachdenkt, denkt vorallem daran, wie weit sie trotz all der Hindernisse gekommen sind. Und welchen schweren Weg sie gehen mussten, um sich aus der  Unterdrückung zu befreien und Generationen von Traumata zu überwinden, um an dem Punkt zu stehen, an dem sie sich heute befinden.

Und damit schließe ich meinen zweitenRundbrief ab.  Gebt mir gerne Feedback,
was eure Gedanken zu dem Thema sind, weil ein  ständiger Austausch super wichtig ist und ich mich in meinem freiwilligen sozialen Jahr auch dazu verpflichtet fühlen, etwasAufklärungsarbeit zu leisten, auch wenn ich nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen kann.

Ihr werdet von mir hören,

Ava

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