Blockeintrag 5, 27.02.2025

Gewalt an Frauen in Papua

Liebe Leser*innen,
im Folgenden würde ich euch gerne von meinen Erfahrungen, Recherchen und Gesprächen mit Einheimischen rund um das Thema Gewalt an Frauen in Papua informieren. Vorab gilt wie immer, ich spreche nicht für ganz Papua, geschweige denn Indonesien, sondern nur über meine persönlichen Erfahrungen, als weiße Touristin. Behaltet das also bitte beim Lesen im Hinterkopf.

Militärgewalt
Wie schon im letzten Blogeintrag erwähnt, befindet sich Papua in einer Situation, anders zum Rest Indonesiens. Die Insel fordert die Unabhängigkeit, doch dadurch, dass die Regierung das ressourcenreiche Land nicht verlieren möchte, wird mit extremer militärischer Gewalt und Überwachung gegengehalten.
Frauen sind dabei besonders von willkürlichen Verhaftungen, Vergewaltigungen, Missbrauch, Folter, Verschleppung sowie Ermordung betroffen (AWID). In 2017 zum Beispiel wurde eine Studie veröffentlicht, die darlegt, wie vier von zehn papuanischen Frauen im Schnitt bereits Gewalt von indonesischen Autoritäten erlebt haben (Amnesty). Seit 1962 sollen zudem 100.000 Menschen vom brutalen Militärregime getötet oder verschwunden sein (ICTJ). Neben Gewalttaten an Frauen selbst werden nicht selten die Häuser und Gärten von Sicherheitskräften zerstört oder Tiere getötet, die existenzielle Rollen für die Landwirtschaft und Einkommensquelle der Papuaner\*innen spielen (AWID).
Dadurch, dass Frauen traditionell für Haus und Garten verantwortlich sind, sind diese besonders davon geschwächt. Vor allem in Zeiten von Konflikten leiden Frauen und Kinder am meisten unter den daraus resultierenden Belastungen wie Unterernährung, Unterkühlung, Krankheiten oder Geburten ohne medizinische Versorgung. Auch wenn nicht die Frauen selbst, sondern nur Familienangehörige verdächtigt werden, Unabhängigkeitskämpfer zu sein, werden Frauen Ziel von Einschüchterung und Missbrauch durch Polizei- und Militärangehörige, wobei die allermeisten Fälle aus Angst vor Vergeltung nicht angezeigt werden (AWID).

Häusliche Gewalt
Neben militärischer Gewalt ist auch häusliche Gewalt ein riesiges Problem in Papua. Laut eines UN-Programms von 2017 sollen in Jayapura 60 % aller Männer bereits Gewalt an ihren Intimpartnerinnen angewandt haben (DHS).
Alleine im Studentenwohnheim der Universität, an der ich Englischunterricht gebe, habe ich von zahlreichen Studentinnen gehört, sie seien bereits von ihren Partnern oder Ex-Partnern geschlagen worden. Auch Fremdgehen scheint ein gängiges Problem zu sein, weshalb Jayapura inoffiziell die „Stadt der Cheater“ genannt wird. Eine meiner besten Freundinnen hat mir ihre Geschichte anvertraut, die stellvertretend für das Leid vieler Frauen steht. Ihr Freund von drei Jahren hat im März 2024 angefangen, sie zu misshandeln, zu schlagen, zu manipulieren und zu bedrohen. Mehrmals hat sie damals versucht, sich von ihm zu trennen, doch er drohte ihr damit, sie „überall zu finden“. Als sie ihrer Familie das Verbrechen, das sie an dem Punkt mehrere Monate durchgemacht hat, anvertraute, glaubten diese ihr nicht. Sie verteidigten den Mann, der ihre Tochter hinter verschlossenen Türen prügelte und gedemütigt hatte, weil Gewalt so normalisiert in der Gesellschaft ist (9DashLine).
Oftmals wird häusliche Gewalt als „Familienangelegenheit“ abgetan, damit die Polizei nicht involviert wird. Dabei zahlt die Familie des Mannes der Familie der Frau „Schweigegeld“, von dem die Frau selbst jedoch nichts zu Augen bekommt. Zusätzlich führen traditionelle Konzepte wie das, dass der Besitz der Frau nach der Eheschließung dem Mann übertragen wird und diese nach einer Trennung ohne finanzielle Mittel dastehen würde, viele Frauen dazu, in einer gewalttätigen Beziehung zu bleiben (9DashLine). Selbst wenn die Frau es aus der Ehe schafft, wird ihr die Reintegration in die Gesellschaft erschwert, weil die Frau für den Eheabbruch abgewertet wird. Auch auf dem Arbeitsmarkt hat sie schlechtere Chancen, da sie durch die Ehe oftmals zur Hausfrau wird und/oder sich um Kinder kümmert und dadurch keine ausreichende Bildung erfahren durfte, um sich (und ihre Kinder) alleine zu finanzieren (Amnesty).

Strafrechtliche Verfolgung
Bei dem Feminismuskurs im Dezember 2024, von dem ich in Blogeintrag Nummer 4 erzählt habe, hatte eine papuanische Rechtsanwältin erklärt, welche Schwierigkeiten, aber auch Möglichkeiten einer Frau bevorstehen, wenn es um die rechtliche Verurteilung des Täters von häuslicher Gewalt geht. Zwar gibt es in großen Städten Schutzbehörden, an die Frauen sich wenden können, jedoch haben die allermeisten Frauen durch die fehlende Infrastruktur keine Möglichkeit, dorthin zu gelangen, wenn sie aus den Bergregionen Papuas kommen.
Die Rechtsanwältin selbst hat verschiedene Gesetzesmöglichkeiten aufgezählt, die Frauen vor Gericht helfen können, ein Stück weit Gerechtigkeit zu erlangen, wie zum Beispiel das Gesetz Nr. 23/2004, welches Gewalt innerhalb der Familie – sei es physische, psychische oder wirtschaftliche – bekämpft (BPK). Trotzdem werden nur ca. 5 % all dieser Straftaten überhaupt strafrechtlich verfolgt (OHCHR).
Um das erwünschte Ergebnis mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erreichen, hatte die Anwältin als Tipp erwähnt, Beweise zu Sammeln, wie Fotos der Wunden und blauen Flecke, bevor diese mit der Zeit abheilen.
Trotzdem ist selbst dann nicht sicher, das der Täter tatsächlich fair bestraft wird, da das indonesische Justizsystem- ähnlich wie in vielem anderen Ländern- durch patriarchale Strukturen geprägt ist. Ein überwiegend männlich dominiertes Richterkollegium sowie tief verwurzelte traditionelle Geschlechterrollen können dazu führen, dass Täter oft milder bestraft werden und die Sichtweise der Opfer nicht immer angemessen gewürdigt wird. Außerdem fehlen vielen Frauen offizielle Dokumente wie Ausweispapiere oder Eheurkunden, wodurch sie Schwierigkeiten vor Gericht bekommen.

Strukturelle Gewalt
Was die Rolle der Frau in der Papuanischen Gesellschafft generell angeht, ist einiges noch aufzuarbeiten. Trotz der wichtigen Rolle, die Frauen in der Landwirtschaft und Familie spielen, haben sie oft kein Mitspracherecht, was Geschäftliches oder Besitz angeht. Landrechte werden, durch die patrilineare Abstammung, meist dem ältesten Sohn vererbt, sollte der Mann sterben. Somit steht der Frau nahezu kein Besitz zu (9DashLine).
Auch alte Traditionen wie der Brautpreise verleihen das Bild, der Mann würde alle Rechte über die Frau nach der Eheschließung haben weil er sie „abbezahlt“ habe (Pazifik-Infostelle).
Der Zugang zu Bildung- und Gesundheitseinrichtungen sind vorallem in den Bergregionen Papua’s unzureichend für Frauen, sodass viele nicht die offizielle Landessprache, Indonesisch sprechen können, geschweige denn lesen oder schreiben (AAI Uni Hamburg). Aus dem Teufelskreis des Analphabetismus auszubrechen ist dementsprechend besonders schwer.
Wenn Sexismus und patriarchale Strukturen so alltäglich sind, kann man sich kaum wundern, wie viele Frauen Gewalt als selbstverständlich wahrnehmen und wie viele Männer kein Problem in ihrem Verhalten sehen, da sie mit dem Weltbild aufgezogen wurden, Männer ständen über Frauen.

Widerstand und Engagement
Trotz all dessen gibt es immer wieder Frauen, die sich konkret gegen dieses System der Frauenunterdrückung und Misshandlung stellen. Ein persönlich sehr inspirierendes Beispiel dafür ist meine Freundin, die es tatsächlich aus der gewalttätigen Beziehung geschafft hat. So schwer es auch ist, den Drohungen und Manipulationen dieser Männer zu widerstehen, umso wichtiger ist es, so früh wie möglich aus der Beziehung zu fliehen und sich Hilfe zu suchen (Enough is Enough).
Jedoch gibt es auch Engagement auf höherer Ebene. Eines der Möglichkeiten für Frauen, Schutz zu suchen, ist zum Beispiel das Frauenhaus P3W, wo ich eigentlich auch meinen Freiwilligendienst hätte verbringen sollen. Den Standort in Jayapura, nicht weit von der Universität, an der ich jetzt arbeite, habe ich selbst schon besucht. Es ist ein sehr schönes, großes Gebäude mit Gemeinschaftsschlafzimmern für die Frauen, ähnlich zu dem Studentenwohnheim. Dort haben Frauen die Option, unabhängig von Männern, zum Beispiel durch einen eigenen kleinen Shop, Geld zu verdienen, aber auch Bildungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können.
Auch Organisationen und NGOs haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass auf das Menschenrechtsproblem in Papua aufmerksam gemacht wird. Trotz dessen, dass seit 2003 keine ausländischen Journalisten nach West-Papua einreisen dürfen und alles getan wird, um die Probleme der Insel zu verschweigen, wurde 2010 der Bericht „Enough is Enough!“ veröffentlicht. Darin berichten papuanische Frauen ihre Erfahrung der Gewalt zwischen 1963 und 2009 in Papua. Er zeigt, wie Frauen unter den Belastungen leiden, aber sich dagegen auch zur Wehr setzen. Ein für mich persönlich sehr bewegender Satz bedeutet übersetzt so viel wie „Wir sind zu Hause nicht sicher und draußen noch weniger“ (Enough is Enough).

Und damit würde ich meinen Bericht gerne abschließen. Es ist kein positives Ende, oder eins was Hoffnung macht, aber es reflektiert leider die Lage Papua’s zur Zeit, besonders für Frauen.
Ich hoffe ihr konntet etwas daraus mitnehmen und behandelt die Frauen in eurem Umfeld in Zukunft besonders gut. Jede*r der sagt, Feminismus brauche man doch gar nicht (mehr) liegt undebattierbar daneben. Auch vor dem indonesischen Gesetz sind Frau und Mann theoretisch gleichgestellt, doch in Realität sieht das ganz anders aus.

Gebt mir gerne Feedback oder teilt mir eure Gedanken.

Ihr werdet von mir hören,

Ava

Quellen:

Amnesty: https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2021/05/ASA2181982018ENGLISH.pdf

ICTJ: https://www.ictj.org/sites/default/files/ICTJ-IDN-Enough-Women_Papua-Report-2010.pdf

AWID: https://www.awid.org/news-and-analysis/women-and-fight-peace-and-freedom-west-papua

DHS: https://dhsprogram.com/pubs/pdf/fr275/fr275.pdf

9DashLine: https://www.9dashline.com/article/women-in-west-papua-broken-promises-and-survivance-sovereignty

BPK (Gesetz Nr. 23/2004): https://peraturan.bpk.go.id/Details/40597/uu-no-23-tahun-2004

OHCHR: https://uprdoc.ohchr.org/uprweb/downloadfile.aspx?filename=10089&file

AAI Uni Hamburg: https://www.aai.uni-hamburg.de/soa/studium/fuer-studieninteressierte/einblick/medien/flyer-frauenrechte-westpapua.pdf

Pazifik-Infostelle: https://www.pazifik-infostelle.org/bildungspaket_westpapua/8857873.html

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